Prozentwürfelsysteme in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden
Was ist ein Prozentwürfelsystem?
Ein Prozentwürfelsystem, auch W100-System oder prozentbasiertes System genannt, ist eine Art von Spielmechanik in Pen-and-Paper-Rollenspielen (P&P RPGs), bei dem Proben in der Regel mit einem hundertseitigen Würfel (W100, auch Prozentwürfel, Prozentile-Würfel oder pW genannt) durchgeführt werden. Das Ergebnis wird dann mit einem prozentualen Fertigkeits- oder Attributswert verglichen, um den Erfolg oder Misserfolg einer Aktion zu bestimmen. Prozentwürfelsysteme sind oft in Spielen anzutreffen, die einen hohen Grad an Realismus oder Detailreichtum anstreben, und werden häufig in Horror-, Investigativ- und historischen Rollenspielen verwendet.
Die Würfelmechanik: W100
Der hundertseitige Würfel, auch W100, Prozentwürfel oder pW genannt, ist das Herzstück eines jeden Prozentwürfelsystems. Genau genommen handelt es sich dabei meist um eine Kombination aus zwei zehnseitigen Würfeln, die zusammen ein Ergebnis von 00 bis 99 (oder 1 bis 100) erzeugen. Ein Würfel repräsentiert die Zehnerstelle, der andere die Einerstelle. So würde z. B. eine 4 auf dem Zehnerwürfel und eine 7 auf dem Einerwürfel ein Ergebnis von 47 ergeben.
In den meisten Prozentwürfelsystemen gilt: Je niedriger das Würfelergebnis, desto besser. Der Wurf muss in der Regel gleich oder kleiner dem relevanten Fertigkeits- oder Attributswert sein, um erfolgreich zu sein. Einige Systeme erlauben auch das "Unterbieten" des halben oder eines Viertel des Wertes für besondere Erfolge.
Anwendung im Spiel
So könnte eine typische Probe in einem Prozentwürfelsystem ablaufen:
- Der Spielleiter beschreibt eine Situation, in der ein Charakter eine Aktion mit unsicherem Ausgang ausführen möchte, z. B. das Knacken eines Schlosses.
- Der Spielleiter bestimmt, welche Fertigkeit oder welches Attribut für die Aktion relevant ist, z. B. "Schlösser knacken" mit einem Wert von 60%.
- Der Spieler würfelt mit dem W100 (bzw. zwei W10) und erhält z. B. ein Ergebnis von 38.
- Der Spielleiter vergleicht das Ergebnis mit dem Fertigkeitswert. Da die 38 kleiner oder gleich 60 ist, gelingt die Probe. Das Schloss öffnet sich.
- Hätte der Spieler eine 75 gewürfelt, wäre die Probe misslungen, da das Ergebnis höher als der Fertigkeitswert ist.
Schwierigkeitsgrade können durch Modifikatoren auf den Fertigkeitswert oder durch die Vorgabe eines festen Zielwerts ausgedrückt werden. So könnte das Knacken eines besonders komplexen Schlosses einen Malus von -20% auf die Fertigkeitsprobe nach sich ziehen.
Beispiele für Prozentwürfelsysteme
Einige bekannte Rollenspielsysteme, die ein Prozentwürfelsystem verwenden, sind:
- Call of Cthulhu: Das wohl bekannteste Beispiel für ein Prozentwürfelsystem. *Call of Cthulhu* verwendet das sogenannte *Basic Role-Playing*-System (BRP), das ursprünglich für das Rollenspiel *RuneQuest* entwickelt wurde. Die Spieler würfeln mit einem W100 und müssen unter ihren Fertigkeitswerten bleiben, um erfolgreich zu sein.
- RuneQuest: Auch *RuneQuest* verwendet ein Prozentwürfelsystem, das dem von *Call of Cthulhu* ähnelt. Es gibt jedoch einige Unterschiede in den Details, z. B. bei der Berechnung von kritischen Erfolgen und Patzern.
- Rolemaster: Ein weiteres System, das auf Prozentwürfeln basiert, aber für seinen hohen Grad an Komplexität und Detailreichtum bekannt ist. *Rolemaster* verwendet verschiedene Tabellen und Modifikatoren, um den Ausgang von Aktionen zu bestimmen.
- Warhammer Fantasy Roleplay: Auch dieses Spiel verwendet einen W100 für Proben und Aktionen.
- Dark Heresy und andere *Warhammer 40.000*-Rollenspiele: Diese Spiele nutzen ebenfalls Prozentwürfel, um den Erfolg von Aktionen zu bestimmen.
- Eclipse Phase: Ein transhumanistisches Science-Fiction-Rollenspiel, das ein Prozentwürfelsystem verwendet, bei dem Erfolge unter dem Fertigkeitswert erzielt werden müssen.
Varianten und Abwandlungen
Es gibt verschiedene Varianten und Abwandlungen des grundlegenden Prozentwürfelsystems:
- Umgekehrtes System: Einige Systeme, wie z. B. *Rolemaster*, verwenden ein umgekehrtes System, bei dem höhere Würfe besser sind. Hier muss der Spieler in der Regel über einen bestimmten Zielwert würfeln, um erfolgreich zu sein.
- Würfelpool: Manche Systeme kombinieren das Prozentwürfelsystem mit einem Würfelpool, bei dem mehrere W100 geworfen und die Erfolge gezählt werden.
- Hybridsysteme: Einige Spiele verwenden Prozentwürfel für bestimmte Aktionen oder Proben, kombinieren sie aber mit anderen Würfelmechaniken, wie z. B. W20-Würfen oder Würfelpools.
- Modifikatoren: Wie bei anderen Systemen können auch bei Prozentwürfelsystemen verschiedene Modifikatoren zum Einsatz kommen, um die Schwierigkeit einer Aktion oder die besonderen Fähigkeiten eines Charakters widerzuspiegeln.
Vorteile von Prozentwürfelsystemen
Prozentwürfelsysteme haben einige Vorteile gegenüber anderen Würfelmechaniken:
- Feine Abstufungen: Durch die Verwendung von Prozentwerten lassen sich die Fähigkeiten und Erfolgschancen von Charakteren sehr fein abstufen.
- Intuitives Verständnis: Prozentwerte sind leicht verständlich und ermöglichen eine intuitive Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit. Ein Fertigkeitswert von 75% bedeutet, dass die Aktion in drei von vier Fällen gelingen sollte.
- Realismus: Manche Spieler empfinden Prozentwürfelsysteme als realistischer, da sie eine größere Bandbreite an möglichen Ergebnissen und Erfolgsgraden abbilden als Systeme mit weniger Würfelseiten.
- Einfache Modifikation: Modifikatoren lassen sich leicht in Form von prozentualen Auf- oder Abschlägen auf den Fertigkeitswert anwenden.
- Direkter Vergleich: Prozentwerte lassen sich leicht miteinander vergleichen, um den Ausgang von konkurrierenden Aktionen zu bestimmen.
Nachteile von Prozentwürfelsystemen
Prozentwürfelsysteme haben aber auch einige potenzielle Nachteile:
- Wenig Spannung bei hohen Werten: Bei sehr hohen Fertigkeitswerten kann die Spannung bei Proben verloren gehen, da der Erfolg fast garantiert ist.
- Schwierigkeiten am unteren Ende der Skala: Bei sehr niedrigen Fertigkeitswerten kann es frustrierend sein, da selbst einfache Aktionen kaum eine Erfolgschance haben.
- Mangelnde Varianz: Manche Spieler empfinden das Würfeln mit einem einzelnen W100 als weniger spannend oder abwechslungsreich als die Verwendung von Würfelpools oder anderen Mechaniken.
- Kopfrechnen: Das Berechnen von Modifikatoren und das Addieren und Subtrahieren von Prozentwerten kann manchen Spielern schwerfallen oder zu viel Zeit in Anspruch nehmen.
- Unterschiedliche Würfel notwendig: Obwohl die meisten Systeme mit W10 auskommen, benötigen manche Systeme trotzdem noch andere Würfel, zum Beispiel für die Schadensermittlung.
Tipps für das Spielen mit Prozentwürfelsystemen
Hier sind einige Tipps für Spieler und Spielleiter, die mit Prozentwürfelsystemen arbeiten:
Für Spieler:
- Kenne deine Werte: Mache dich mit den Fertigkeits- und Attributswerten deines Charakters vertraut und wisse, in welchen Bereichen er besonders gut ist.
- Nutze deine Stärken: Versuche, Situationen herbeizuführen, in denen du deine besten Fertigkeiten einsetzen kannst, um deine Erfolgschancen zu maximieren.
- Spezialisiere dich: In vielen Prozentwürfelsystemen ist es effektiver, sich auf einige wenige Fertigkeiten zu spezialisieren, anstatt zu versuchen, in allem mittelmäßig zu sein.
- Achte auf Modifikatoren: Berücksichtige bei der Planung deiner Aktionen mögliche Modifikatoren, die deine Erfolgschancen beeinflussen könnten.
- Sei kreativ: Auch wenn die Regeln oft sehr detailliert sind, solltest du nicht vergessen, kreativ zu sein und nach unkonventionellen Lösungen zu suchen.
Für Spielleiter:
- Setze realistische Schwierigkeiten: Achte darauf, dass die Schwierigkeitsgrade für Proben der Situation und den Fähigkeiten der Charaktere angemessen sind.
- Verwende Modifikatoren: Nutze situationsbedingte Modifikatoren, um besondere Umstände, Hilfsmittel oder Schwierigkeiten widerzuspiegeln.
- Belohne gutes Rollenspiel: Auch in einem Prozentwürfelsystem sollte gutes Rollenspiel und kreatives Handeln belohnt werden, z. B. mit Boni auf die Probe oder anderen Vorteilen.
- Sei flexibel: Sei bereit, die Regeln bei Bedarf anzupassen oder zu improvisieren, um den Spielfluss und den Spielspaß zu erhalten.
- Erkläre die Mechanik: Stelle sicher, dass alle Spieler die Regeln für Proben und die Bedeutung der Prozentwerte verstanden haben.
Fazit
Prozentwürfelsysteme sind eine interessante und weit verbreitete Alternative zu anderen Würfelmechaniken in Pen-and-Paper-Rollenspielen. Sie bieten in der Regel feine Abstufungen bei den Fertigkeitswerten, ein intuitives Verständnis der Erfolgswahrscheinlichkeiten und einen hohen Grad an Realismus. Gleichzeitig können sie aber auch zu weniger Spannung bei hohen Werten und zu Frustration bei niedrigen Werten führen. Ob ein Prozentwürfelsystem das richtige für eine bestimmte Gruppe ist, hängt von den Vorlieben der Spieler und dem gewünschten Spielstil ab. Mit ihrer langen Tradition und ihren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bleiben Prozentwürfelsysteme jedoch ein wichtiger und prägender Bestandteil der P&P RPG-Landschaft.