Zielwerte in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden
Was ist ein Zielwert?
Ein Zielwert, auch Schwierigkeitsgrad, Schwierigkeitsklasse (in *D&D* und *Pathfinder*), Grenzwert (in *Shadowrun*) oder Herausforderungswert genannt, ist ein numerischer Wert in vielen Pen-and-Paper-Rollenspielen (P&P RPGs), der die Mindestanforderung für den Erfolg einer Aktion, eines Angriffs oder einer anderen Art von Probe festlegt. Er ist der Wert, den ein Spieler mit einem Würfelwurf, oft modifiziert durch die Attribute, Fertigkeiten und andere Boni oder Mali seines Charakters, erreichen oder übertreffen muss, damit die Aktion gelingt.
Zielwerte sind ein zentrales Element der meisten P&P RPG-Regelwerke und dienen dazu, die Erfolgswahrscheinlichkeit von Aktionen zu bestimmen, Herausforderungen zu definieren und die Fähigkeiten der Charaktere in Relation zur Spielwelt zu setzen. Sie sind ein wichtiges Werkzeug für den Spielleiter, um den Schwierigkeitsgrad von Aufgaben und Begegnungen zu steuern und die Spannung und Balance im Spiel aufrechtzuerhalten.
Ermittlung und Festlegung von Zielwerten
Die Ermittlung und Festlegung von Zielwerten ist in erster Linie die Aufgabe des Spielleiters. Sie basiert auf verschiedenen Faktoren:
- Regelwerk: Die meisten P&P RPG-Systeme bieten in ihren Regelwerken Richtlinien oder Tabellen für die Festlegung von Zielwerten, oft abgestuft nach Schwierigkeitsgraden wie "leicht", "mittel", "schwer" usw.
- Art der Aktion: Die Art der Aktion, die der Charakter ausführen möchte, hat großen Einfluss auf den Zielwert. Einfache Aktionen haben in der Regel niedrige Zielwerte, während schwierige oder riskante Aktionen hohe Zielwerte erfordern.
- Situationsbedingte Faktoren: Der Spielleiter kann den Zielwert an die spezifischen Umstände der Situation anpassen. Z. B. kann das Knacken eines Schlosses bei schlechten Lichtverhältnissen oder unter Zeitdruck schwieriger sein und einen höheren Zielwert erfordern.
- Fähigkeiten der Charaktere: Der Spielleiter sollte die Fähigkeiten und Stärken der Charaktere berücksichtigen und den Zielwert so wählen, dass er eine angemessene Herausforderung darstellt, ohne zu leicht oder zu frustrierend zu sein.
- Dramaturgische Erwägungen: Manchmal kann der Spielleiter den Zielwert auch an die dramaturgischen Erfordernisse der Geschichte anpassen, z. B. um einen Kampf spannender zu machen oder um einen wichtigen Hinweis nicht unerreichbar zu machen.
- Erfahrung und Fingerspitzengefühl: Letztlich erfordert das Festlegen von Zielwerten auch Erfahrung, Fingerspitzengefühl und ein gutes Verständnis des Spielsystems und der eigenen Spielergruppe.
Schwierigkeitsgrad und Zielwert
In vielen Systemen sind die Zielwerte mit bestimmten Schwierigkeitsgraden verbunden. *Dungeons & Dragons* (5. Edition) verwendet z. B. die folgenden Bezeichnungen und Zielwerte:
- Sehr leicht: 5
- Leicht: 10
- Mittel: 15
- Schwer: 20
- Sehr schwer: 25
- Fast unmöglich: 30
Diese Einteilung dient als grobe Orientierungshilfe für den Spielleiter. In anderen Systemen gibt es ähnliche Abstufungen oder Tabellen, die den Schwierigkeitsgraden bestimmte Zielwerte zuordnen.
Zielwerte in verschiedenen Systemen
Hier sind einige Beispiele, wie Zielwerte in verschiedenen Rollenspielsystemen verwendet werden:
- Dungeons & Dragons: In D&D werden die meisten Proben gegen eine Schwierigkeitsklasse (DC = Difficulty Class) durchgeführt. Der Spieler würfelt einen W20, addiert relevante Modifikatoren und vergleicht das Ergebnis mit dem DC. Ist das Ergebnis gleich oder höher, gelingt die Probe.
- Pathfinder: Funktioniert ähnlich wie D&D, verwendet aber oft höhere Zielwerte und erlaubt es den Spielern, in bestimmten Situationen "10" oder "20" zu nehmen, anstatt zu würfeln.
- Das Schwarze Auge: In DSA werden die meisten Proben mit drei W20 gegen die Attribute des Charakters gewürfelt. Der Zielwert ergibt sich aus den Attributswerten selbst, und Modifikatoren senken oder erhöhen die Anzahl der erlaubten "Fehlwürfe".
- Shadowrun: Hier würfelt man einen Pool von W6 und zählt die Erfolge (Wurf einer 5 oder 6). Der Zielwert ist meistens die Anzahl an Erfolgen, die man benötigt.
- World of Darkness: Verwendet ein ähnliches System wie *Shadowrun*, aber mit W10-Würfeln. Der Zielwert für einen Erfolg liegt in der Regel bei 8 oder höher, kann aber je nach Situation variieren.
- Fate: In *Fate* gibt es keine festen Zielwerte. Stattdessen würfelt man vier spezielle Würfel (+, - und leere Seiten) und vergleicht das Ergebnis mit dem Schwierigkeitsgrad oder dem Wurfergebnis eines Gegners.
Modifikatoren und ihre Auswirkungen auf den Zielwert
In vielen Situationen werden Modifikatoren auf den Wurf oder den Zielwert angewendet, um besondere Umstände zu berücksichtigen. Typische Modifikatoren sind:
- Attributs- und Fertigkeitsmodifikatoren: Diese basieren auf den Werten des Charakters und werden in der Regel zum Würfelergebnis addiert.
- Situationsbedingte Modifikatoren: Diese werden vom Spielleiter vergeben, um besondere Umstände zu berücksichtigen, z. B. gute Sichtverhältnisse (+2) oder eine rutschige Oberfläche (-4).
- Ausrüstungsmodifikatoren: Hochwertige oder magische Ausrüstung kann Boni auf bestimmte Proben geben, z. B. ein Dietrich-Set (+2) oder ein magisches Schwert (+1 auf Angriffswürfe).
- Zustandsmodifikatoren: Zustände wie "vergiftet", "verängstigt" oder "blind" können Mali auf bestimmte Proben geben.
- Hilfe und Unterstützung: Wenn ein Charakter einem anderen hilft, kann dies einen Bonus auf die Probe geben.
Modifikatoren können entweder den Würfelwurf des Spielers oder den Zielwert der Probe beeinflussen. Im ersten Fall spricht man von einem Bonus oder Malus auf den Wurf, im zweiten Fall von einer Erleichterung oder Erschwernis der Probe.
Verdeckte und offene Zielwerte
In manchen Fällen kann der Spielleiter den Zielwert einer Probe verdeckt halten, d. h. er teilt den Spielern nicht mit, wie hoch der Wert ist. Dies kann die Spannung erhöhen und die Unsicherheit der Situation betonen. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, den Zielwert offen zu kommunizieren, damit die Spieler die Erfolgschancen ihrer Aktionen besser einschätzen können.
Ob Zielwerte offen oder verdeckt gehandhabt werden, hängt oft vom jeweiligen System, dem Spielstil der Gruppe und der konkreten Spielsituation ab.
Dynamische Zielwerte
Einige Systeme verwenden dynamische Zielwerte, die sich im Laufe des Spiels ändern können. So könnte z. B. die Schwierigkeit, eine Wache zu überreden, steigen, wenn die Spieler bereits durch verdächtiges Verhalten aufgefallen sind. Oder der Zielwert, um ein brennendes Gebäude zu löschen, könnte sich mit jeder Runde erhöhen, in der das Feuer nicht gelöscht wird.
Dynamische Zielwerte können dazu beitragen, das Spiel realistischer und herausfordernder zu gestalten und die Spieler dazu zwingen, schnell und überlegt zu handeln.
Beispiele für Zielwerte
Hier sind einige Beispiele für Zielwerte in verschiedenen Spielsituationen:
- Einen verschüchterten Zeugen überreden, auszusagen (soziale Probe, mittlerer Schwierigkeitsgrad, Zielwert 15 in *D&D*).
- Ein komplexes Schloss knacken (Fertigkeitsprobe, hoher Schwierigkeitsgrad, Zielwert 20 in *D&D*).
- Einem einstürzenden Gebäude entkommen (Attributsprobe, Geschicklichkeit, mittlerer Schwierigkeitsgrad, Zielwert 15 in *D&D*).
- Einen angreifenden Bären im Nahkampf treffen (Angriffswurf, Rüstungsklasse des Bären 14 in *D&D*).
- Dem Gift einer Schlange widerstehen (Rettungswurf, Konstitution, Schwierigkeitsgrad 13 in *D&D*).
- Einen Händler beim Feilschen um den Preis eines Schwertes übervorteilen (soziale Probe, Charisma, gegnerische Probe gegen den Händler in *Das Schwarze Auge*).
- Einen Zauberspruch unter Zeitdruck und in gefährlicher Umgebung wirken (konzentrierte Aktion, Intelligenz, Schwierigkeitsgrad 10 + Zaubergrad in *Pathfinder*).
Tipps für den Umgang mit Zielwerten
Hier sind einige Tipps für Spielleiter und Spieler zum Umgang mit Zielwerten in P&P RPGs:
Für Spielleiter:
- Sei konsistent: Lege die Zielwerte für ähnliche Aktionen nach Möglichkeit konsistent fest, damit die Spieler ein Gefühl für die Schwierigkeitsgrade entwickeln können.
- Nutze die Richtwerte: Orientiere dich an den Schwierigkeitsgraden und Tabellen in den Regelwerken, aber scheue dich nicht, sie an die jeweilige Situation anzupassen.
- Kommuniziere klar: Gib den Spielern eine Vorstellung davon, wie schwierig eine Aktion ist, bevor sie würfeln, z. B. indem du die Schwierigkeit in Worten beschreibst ("leicht", "mittel", "schwer") oder indem du den genauen Zielwert nennst.
- Variiere die Herausforderungen: Biete den Spielern eine Mischung aus leichten, mittleren und schweren Herausforderungen an, um das Spiel abwechslungsreich und spannend zu gestalten.
- Belohne kreative Lösungen: Wenn die Spieler sich besonders clevere oder kreative Lösungen einfallen lassen, belohne sie mit einem niedrigeren Zielwert oder einem Bonus auf ihren Wurf.
- Nutze Modifikatoren: Berücksichtige situationsbedingte Vor- und Nachteile, indem du den Zielwert oder den Wurf der Spieler modifizierst.
- Sei flexibel: Sei bereit, den Zielwert spontan anzupassen, wenn es die Situation erfordert oder wenn die Spieler einen besonders guten oder schlechten Plan haben.
- Erkläre deine Entscheidungen: Wenn du einen Zielwert festlegst oder modifizierst, erkläre den Spielern deine Gründe, um deine Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu machen.
Für Spieler:
- Kenne deine Werte: Mache dich mit den Attributen, Fertigkeiten und anderen Werten deines Charakters vertraut und wisse, in welchen Bereichen er besonders stark oder schwach ist.
- Schätze die Schwierigkeit ein: Versuche, vor einer Aktion einzuschätzen, wie schwierig sie sein wird und wie hoch deine Erfolgschancen sind. Bitte den Spielleiter um eine Einschätzung, wenn du unsicher bist.
- Nutze deine Vorteile: Versuche, Situationen herbeizuführen, in denen du deine Stärken ausspielen und Boni auf deine Würfe erhalten kannst, z. B. durch den Einsatz von Hilfsmitteln, die Unterstützung von Verbündeten oder die Wahl eines günstigen Zeitpunkts.
- Spiele deine Rolle: Berücksichtige bei deinen Entscheidungen nicht nur die reinen Zahlen, sondern auch die Persönlichkeit, die Motivation und das Wissen deines Charakters.
- Akzeptiere das Scheitern: Nicht jede Aktion wird gelingen. Akzeptiere, dass auch Misserfolge zum Spiel gehören und versuche, das Beste daraus zu machen. Manchmal können gerade aus Fehlern besonders interessante und denkwürdige Momente entstehen.
- Sprich mit deinem Spielleiter: Wenn du das Gefühl hast, dass die Zielwerte zu hoch, zu niedrig oder zu inkonsistent sind, sprich mit deinem Spielleiter darüber und versuche, gemeinsam eine Lösung zu finden.
Fazit
Zielwerte sind ein zentrales Element der meisten Pen-and-Paper-Rollenspiele und tragen entscheidend dazu bei, Herausforderungen zu definieren, Spannung zu erzeugen und die Fähigkeiten der Charaktere in Relation zur Spielwelt zu setzen. Sie sind ein wichtiges Werkzeug für den Spielleiter, um den Schwierigkeitsgrad von Aufgaben und Begegnungen zu steuern und die Balance im Spiel zu wahren. Ein sinnvoller und konsistenter Umgang mit Zielwerten ist entscheidend für ein befriedigendes und nachvollziehbares Spielerlebnis. Indem sich Spielleiter und Spieler über die Bedeutung von Zielwerten austauschen, ihre Erwartungen klären und gemeinsam an einem fairen und spannenden Spiel arbeiten, können sie das volle Potenzial dieses wichtigen P&P RPG-Elements ausschöpfen und ihre Abenteuer noch einprägsamer und unterhaltsamer gestalten.