Systeme in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden

Systeme in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden

Was ist ein System?

Ein System, auch Regelsystem oder Regelwerk genannt, ist das formale Regelwerk, das die Grundlage eines Pen-and-Paper-Rollenspiels (P&P RPG) bildet. Es definiert, wie das Spiel funktioniert, wie Charaktere erschaffen und weiterentwickelt werden, wie Aktionen ausgeführt und Konflikte gelöst werden, und welche Möglichkeiten und Grenzen die Spieler in der Spielwelt haben. Ein System ist sozusagen das "Betriebssystem" des Spiels, das die Interaktionen zwischen den Spielern, dem Spielleiter und der fiktiven Welt strukturiert und regelt.

Ein System besteht in der Regel aus einem oder mehreren Regelbüchern, die alle notwendigen Informationen enthalten, um das Spiel zu spielen. Es gibt eine große Vielfalt an Systemen, die sich in ihrem Umfang, ihrer Komplexität, ihrem Schwerpunkt und ihrem Abstraktionsgrad stark unterscheiden können. Manche Systeme sind auf bestimmte Genres oder Settings spezialisiert, während andere universell für verschiedene Spielwelten einsetzbar sind.

Die Elemente eines Systems

Ein typisches P&P RPG-System umfasst die folgenden Elemente:

  • Charaktererschaffung: Regeln und Anleitungen für die Erstellung von Spielercharakteren, einschließlich der Vergabe von Attributen, Fertigkeiten, Talenten und der Auswahl von Völkern, Klassen oder anderen Optionen.
  • Aktions- und Konfliktauflösung: Die zentralen Mechanismen des Spiels, die bestimmen, wie Aktionen ausgeführt und Konflikte gelöst werden, z. B. durch Würfelproben, den Vergleich von Werten oder andere Methoden.
  • Kampfregeln: Regeln für die Durchführung von Kämpfen, einschließlich Initiative, Angriffen, Verteidigung, Schaden, Trefferpunkten und besonderen Kampfmanövern.
  • Fertigkeiten: Eine Liste und Beschreibung der verschiedenen Fertigkeiten, die Charaktere beherrschen können, und Regeln für ihren Einsatz im Spiel.
  • Talente/Vorteile/Kräfte: Oft gibt es spezielle Fähigkeiten, Vorteile oder Kräfte, die Charaktere erwerben können und die ihnen besondere Boni oder Handlungsmöglichkeiten verleihen.
  • Ausrüstung: Regeln und Beschreibungen für Waffen, Rüstungen, Ausrüstungsgegenstände und andere Dinge, die Charaktere im Spiel verwenden können, oft mit Werten und Preisen.
  • Magie/Übernatürliches: Wenn das Setting Magie, psionische Kräfte oder andere übernatürliche Elemente enthält, gibt es in der Regel ein eigenes Kapitel, das deren Funktionsweise und Regeln beschreibt.
  • Monster/Gegner: Viele Systeme enthalten eine Sammlung von Monstern, Kreaturen und anderen potenziellen Gegnern, mit Werten, Fähigkeiten und Beschreibungen.
  • Erfahrung und Charakterentwicklung: Regeln dafür, wie Charaktere Erfahrung sammeln, sich verbessern und neue Fähigkeiten erlangen können.
  • Spielleiter-Abschnitt: Oft gibt es einen eigenen Abschnitt für den Spielleiter mit Tipps und Hilfestellungen zum Leiten des Spiels, zum Gestalten von Abenteuern und zum Umgang mit den Regeln.
  • Setting-Informationen: Manche Systeme enthalten auch Informationen über die Spielwelt, in der das Spiel angesiedelt ist, wie z. B. Beschreibungen von Orten, Kulturen, Organisationen, NSCs und der Geschichte der Welt.

Arten von Systemen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, P&P RPG-Systeme zu kategorisieren. Einige gängige Unterscheidungen sind:

  • Universalsysteme vs. settingspezifische Systeme: Universalsysteme wie *GURPS*, *Fate* oder *Savage Worlds* sind so konzipiert, dass sie in einer Vielzahl von Settings und Genres eingesetzt werden können. Settingspezifische Systeme wie *Das Schwarze Auge*, *Shadowrun* oder *Call of Cthulhu* sind auf eine bestimmte Spielwelt und deren Besonderheiten zugeschnitten.
  • Regelschwere vs. regelleichte Systeme: Manche Systeme, wie z. B. *Rolemaster* oder *GURPS*, haben sehr detaillierte und umfangreiche Regeln, die viele verschiedene Situationen abdecken. Andere Systeme, wie z. B. *Fate* oder *Dungeon World*, sind deutlich schlanker und einfacher gehalten und lassen mehr Raum für Improvisation und erzählerische Freiheit.
  • Simulationistische vs. narrativistische vs. gamistische Systeme: Diese Einteilung, die auf der GNS-Theorie basiert, unterscheidet Systeme nach ihrem Fokus auf Realismus und Simulation (*Simulationismus*), auf das Erschaffen einer interessanten Geschichte (*Narrativismus*) oder auf Herausforderung und Optimierung im Rahmen der Spielregeln (*Gamismus*).
  • Traditionelle vs. Indie-Systeme: Traditionelle Systeme sind in der Regel kommerzielle Produkte großer Verlage, die auf eine lange Geschichte und eine große Spielergemeinde zurückblicken können, wie z. B. *D&D* oder *Pathfinder*. Indie-Systeme werden oft von kleinen Teams oder Einzelpersonen entwickelt und zeichnen sich häufig durch innovative Mechaniken oder ungewöhnliche Settings aus, wie z. B. *Apocalypse World* oder *Fiasco*.
  • Klassenbasierte vs. fertigkeitenbasierte Systeme: In klassenbasierten Systemen, wie z. B. *D&D*, wählen die Spieler eine Klasse für ihren Charakter (z. B. Krieger, Magier, Schurke), die seine grundlegenden Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten festlegt. In fertigkeitenbasierten Systemen, wie z. B. *GURPS* oder *Das Schwarze Auge*, können die Spieler die Fähigkeiten ihres Charakters freier zusammenstellen und entwickeln.
  • Würfelbasierte vs. würfellose Systeme: Die meisten Systeme verwenden Würfel, um den Ausgang von Aktionen zu bestimmen. Es gibt aber auch würfellose Systeme, wie z. B. *Amber Diceless Roleplaying*, die auf Verhandlung, Ressourcenmanagement oder anderen Mechanismen basieren.

Beispiele für bekannte Systeme

Hier sind einige Beispiele für bekannte und einflussreiche P&P RPG-Systeme, geordnet nach ihrer Art:

  • Universalsysteme:
    • GURPS (Generic Universal RolePlaying System)
    • Fate Core / Fate Accelerated Edition
    • Savage Worlds
    • Hero System
    • Basic Role-Playing
  • Settingspezifische Systeme:
    • Dungeons & Dragons (Fantasy)
    • Pathfinder (Fantasy)
    • Das Schwarze Auge (Fantasy)
    • Shadowrun (Cyberpunk/Fantasy)
    • Call of Cthulhu (Horror)
    • Star Wars Roleplaying Game (Science-Fiction)
    • Warhammer 40,000 Roleplay (Science-Fiction)
  • Regelschwere Systeme:
    • Rolemaster
    • GURPS
    • Pathfinder
    • D&D (3. und 4. Edition)
    • Das Schwarze Auge
  • Regelleichte Systeme:
    • Fate
    • Dungeon World
    • Fiasco
    • Lasers & Feelings
    • Honey Heist
  • Traditionelle Systeme:
    • Dungeons & Dragons
    • Pathfinder
    • Call of Cthulhu
    • RuneQuest
    • Das Schwarze Auge
  • Indie-Systeme:
    • Apocalypse World
    • Blades in the Dark
    • Fiasco
    • Microscope
    • Lady Blackbird
  • Klassenbasierte Systeme:
    • Dungeons & Dragons
    • Pathfinder
    • 13th Age
    • Shadow of the Demon Lord
  • Fertigkeitenbasierte Systeme:
    • GURPS
    • Das Schwarze Auge
    • Call of Cthulhu
    • RuneQuest
    • Shadowrun

System und Setting

Viele Rollenspielsysteme sind eng mit einem bestimmten Setting, also einer Spielwelt, verbunden. So ist z. B. *Das Schwarze Auge* untrennbar mit der Welt Aventurien verknüpft, während *Shadowrun* in einer eigenen Cyberpunk-Fantasy-Welt spielt. In solchen Fällen sind die Regeln des Systems oft speziell auf die Besonderheiten des Settings zugeschnitten und spiegeln die wichtigen Aspekte der Spielwelt wider.

Es gibt aber auch universelle Systeme, die in verschiedenen Settings und Genres verwendet werden können, wie z. B. *GURPS*, *Fate* oder *Savage Worlds*. Diese Systeme bieten einen allgemeinen Regelrahmen, der an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden kann. Sie enthalten oft Mechanismen, um verschiedene Genres und Machtniveaus abzudecken, z. B. durch optionale Regeln für Magie, Superkräfte oder Cyberware.

Einige Systeme, wie z. B. *D&D*, haben im Laufe der Zeit verschiedene Settings hervorgebracht, die auf demselben Regelsystem basieren, aber in unterschiedlichen Welten spielen, wie z. B. die *Vergessenen Reiche*, *Eberron* oder *Greyhawk*.

System und Spielstil

Die Wahl des Systems hat einen großen Einfluss auf den Spielstil und die Spielerfahrung einer P&P RPG-Runde. Unterschiedliche Systeme legen unterschiedliche Schwerpunkte und unterstützen verschiedene Arten des Spiels. Einige Beispiele sind:

  • Systeme mit detaillierten Kampfregeln und vielen taktischen Optionen, wie z. B. *D&D* oder *Pathfinder*, eignen sich gut für einen kampfbetonten Spielstil mit strategischen Herausforderungen.
  • Systeme mit einem starken Fokus auf soziale Interaktion und Konflikte, wie z. B. *Vampire: The Masquerade* oder *A Song of Ice and Fire Roleplaying*, unterstützen einen Spielstil, der auf Diplomatie, Intrigen und Beziehungen setzt.
  • Systeme mit einfachen Regeln und einem Schwerpunkt auf dem gemeinsamen Erzählen, wie z. B. *Fate* oder *Dungeon World*, fördern einen narrativen Spielstil, bei dem die Geschichte und die Charakterentwicklung im Vordergrund stehen.
  • Systeme mit einem hohen Grad an Realismus und Simulation, wie z. B. *GURPS* oder *Rolemaster*, sprechen Spieler an, die Wert auf eine glaubwürdige und detailgetreue Spielwelt legen.
  • Systeme mit einem starken Fokus auf das Lösen von Rätseln und das Aufdecken von Geheimnissen, wie z. B. *Call of Cthulhu* oder *Trail of Cthulhu*, eignen sich gut für investigative und horrorlastige Abenteuer.

Bei der Wahl eines Systems sollte man daher darauf achten, dass es zum bevorzugten Spielstil der Gruppe passt und die gewünschte Art von Spielerfahrung unterstützt.

Wie wählt man das richtige System aus?

Die Wahl des passenden Rollenspielsystems ist eine wichtige Entscheidung, die großen Einfluss auf den Spielspaß und den Verlauf einer Kampagne haben kann. Hier sind einige Faktoren, die man bei der Auswahl eines Systems berücksichtigen sollte:

  • Genre und Setting: Welches Genre und welche Art von Spielwelt bevorzugt die Gruppe? Gibt es ein System, das speziell auf dieses Genre oder Setting zugeschnitten ist?
  • Komplexität und Regelschwere: Wie komplex und detailliert sollen die Regeln sein? Bevorzugt die Gruppe ein einfaches, schnelles Spiel oder ein komplexes, taktisches System?
  • Spielstil: Welchen Spielstil bevorzugt die Gruppe? Soll der Fokus auf Kampf, Erkundung, Rätseln, Rollenspiel oder einer Mischung aus verschiedenen Elementen liegen?
  • Erfahrung der Spieler: Wie viel Erfahrung haben die Spieler mit P&P RPGs? Einsteiger sind oft mit einem einfacheren System besser beraten, während erfahrene Spieler vielleicht mehr Komplexität und Optionen wünschen.
  • Verfügbarkeit und Unterstützung: Ist das Regelwerk leicht erhältlich, idealerweise in der Muttersprache der Spieler? Gibt es eine aktive Community, Online-Ressourcen oder Erweiterungen für das Spiel?
  • Kosten: Wie viel Geld ist die Gruppe bereit, für das Regelwerk und eventuelle Erweiterungen auszugeben?
  • Gruppenpräferenz: Das wichtigste ist, dass sich alle Spieler und der Spielleiter mit der Wahl des Systems wohlfühlen und Spaß am Spiel haben. Es kann hilfreich sein, verschiedene Systeme auszuprobieren oder sich von erfahrenen Spielern beraten zu lassen.

Systeme anpassen und modifizieren

Viele Spielrunden verwenden die Regeln eines Systems nicht strikt nach dem Wortlaut, sondern passen sie an ihre individuellen Bedürfnisse und Vorlieben an. Dies kann in Form von Hausregeln geschehen, also eigenen Regeln oder Regeländerungen, die die Gruppe zusätzlich zu den offiziellen Regeln verwendet. Hausregeln können dazu dienen, das Spiel zu vereinfachen, zu erweitern, auszubalancieren oder an ein bestimmtes Setting anzupassen.

Einige Beispiele für Hausregeln sind:

  • Änderungen an der Charaktererschaffung, z. B. zusätzliche Fertigkeiten oder Talente.
  • Anpassungen von Kampfregeln, z. B. alternative Möglichkeiten, Schaden zu berechnen oder kritische Treffer zu behandeln.
  • Vereinfachungen oder Erweiterungen bestehender Regeln, z. B. bei der Verwendung von Fertigkeiten oder der Durchführung von Proben.
  • Zusätzliche Subsysteme, z. B. für Verfolgungsjagden, Massenkämpfe oder soziale Interaktion.
  • Anpassungen des Magiesystems, z. B. neue Zaubersprüche oder alternative Arten, Magie zu wirken.

Manche Spieler und Spielleiter gehen noch einen Schritt weiter und entwickeln eigene Systeme oder Settings, die auf bestehenden Regeln aufbauen oder komplett neue Ansätze verfolgen. Dies wird oft als "Hacking" oder "Modding" eines Systems bezeichnet.

Beim Anpassen und Modifizieren von Systemen sollte man jedoch einige Punkte beachten:

  • Absprache mit der Gruppe: Regeländerungen sollten immer mit allen Spielern abgesprochen und von allen akzeptiert werden.
  • Balance: Hausregeln sollten das Spielgleichgewicht nicht zu stark stören oder bestimmte Charaktere oder Spielweisen zu stark bevorzugen.
  • Konsistenz: Hausregeln sollten konsequent angewendet und nicht willkürlich geändert werden.
  • Dokumentation: Hausregeln sollten schriftlich festgehalten werden, damit alle Spieler sie jederzeit nachschlagen können.
  • Testen: Neue Hausregeln sollten ausgiebig getestet und gegebenenfalls angepasst werden, um sicherzustellen, dass sie wie gewünscht funktionieren.

Fazit

Das System ist das regeltechnische Fundament eines jeden Pen-and-Paper-Rollenspiels. Es definiert die Möglichkeiten und Grenzen der Spieler und strukturiert das gemeinsame Spiel. Die Wahl des passenden Systems ist entscheidend für ein gelungenes und befriedigendes Spielerlebnis und sollte sorgfältig auf die Bedürfnisse und Vorlieben der Gruppe abgestimmt werden. Ob man nun ein klassisches, regelintensives System wie *D&D* bevorzugt, ein leichtgewichtiges, erzählerisches Spiel wie *Fate* oder ein universell einsetzbares System wie *GURPS*, die Vielfalt der verfügbaren Rollenspielsysteme bietet für jeden Geschmack und jeden Spielstil das passende Werkzeug. Indem man sich mit den Regeln und Mechaniken vertraut macht, sie aber auch kreativ anpasst und erweitert, kann man als Spielleiter und Spieler gleichermaßen das volle Potenzial des P&P RPG-Hobbys ausschöpfen und gemeinsam mit seinen Freunden unvergessliche Geschichten am Spieltisch erschaffen.