Railroading in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden

Railroading in Pen-and-Paper-Rollenspielen: Ein umfassender Leitfaden

Was ist Railroading?

Railroading, auch bekannt als lineares Abenteuerdesign oder "auf Schienen spielen", ist ein Begriff aus der Welt der Pen-and-Paper-Rollenspiele (P&P RPGs), der eine Spielweise beschreibt, bei der der Spielleiter (SL) die Handlung und die Entscheidungen der Spieler in eine stark vorgegebene Richtung lenkt. Im Extremfall haben die Spieler kaum oder gar keine Möglichkeit, von der geplanten Geschichte abzuweichen oder eigene Wege zu gehen. Ihre Entscheidungsfreiheit ist stark eingeschränkt, und sie werden wie auf Schienen (daher der Name) durch das Abenteuer geführt.

Railroading steht oft im Kontrast zu einem Sandbox-Stil, bei dem die Spieler große Freiheiten haben, die Spielwelt zu erkunden und ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Während Railroading oft kritisch gesehen wird, da es die spielerische Freiheit und die kreative Beteiligung der Spieler einschränken kann, gibt es auch Situationen, in denen es bewusst und konstruktiv eingesetzt werden kann.

Formen von Railroading

Railroading kann in verschiedenen Formen und Ausprägungen auftreten. Einige typische Beispiele sind:

  • Erzwungene Entscheidungen: Der Spielleiter lässt den Spielern keine Wahl und zwingt ihre Charaktere, eine bestimmte Entscheidung zu treffen oder einen bestimmten Weg einzuschlagen, unabhängig von ihren eigenen Vorlieben oder Ideen.
  • Ignorieren von Spieleraktionen: Der Spielleiter ignoriert die Aktionen und Entscheidungen der Spieler, wenn sie nicht in seinen Plan passen, und führt die Geschichte trotzdem so fort, wie er es vorgesehen hat.
  • "Unsichtbare Wände": Der Spielleiter setzt unsichtbare oder unüberwindbare Barrieren ein, um die Spieler auf dem geplanten Pfad zu halten und sie daran zu hindern, eigene Wege zu erkunden.
  • Skriptsequenzen: Der Spielleiter hat die Handlung im Voraus detailliert festgelegt und lässt den Spielern kaum Spielraum, davon abzuweichen.
  • Entfernen von Konsequenzen: Der Spielleiter verhindert, dass die Entscheidungen der Spieler negative Konsequenzen haben, um sie auf dem geplanten Pfad zu halten.
  • Bevorzugte Lösung: Der Spielleiter hat eine bestimmte Lösung für ein Problem oder eine Herausforderung im Sinn und lässt die Spieler so lange im Dunkeln tappen, bis sie diese Lösung gefunden haben, anstatt alternative Ansätze zu akzeptieren.
  • Übermächtige NSCs: Der Spielleiter setzt übermächtige NSCs ein, die die Spieler in die gewünschte Richtung lenken oder ihnen Entscheidungen abnehmen.
  • Einschränkende Szenarien: Das Abenteuer ist so aufgebaut, dass es nur einen möglichen Weg oder eine mögliche Lösung gibt, z. B. durch eine erzwungene Verfolgungsjagd oder eine unausweichliche Gefangennahme.

Ursachen und Gründe für Railroading

Es gibt verschiedene Gründe, warum Spielleiter zu Railroading neigen:

  • Mangelnde Vorbereitung: Wenn der Spielleiter nicht auf alternative Handlungsverläufe oder unerwartete Spielerentscheidungen vorbereitet ist, kann er versuchen, die Spieler wieder auf den geplanten Pfad zurückzuzwingen.
  • Angst vor Kontrollverlust: Manche Spielleiter haben Angst, die Kontrolle über die Geschichte und den Spielablauf zu verlieren, wenn sie den Spielern zu viele Freiheiten lassen.
  • Festhalten an der eigenen Vision: Ein Spielleiter hat möglicherweise eine sehr genaue Vorstellung davon, wie die Geschichte ablaufen soll, und möchte nicht, dass die Spieler diese Vision durchkreuzen.
  • Mangelndes Vertrauen in die Spieler: Manche Spielleiter trauen ihren Spielern nicht zu, eigene sinnvolle Entscheidungen zu treffen oder die Geschichte in eine interessante Richtung zu lenken.
  • Unerfahrenheit: Neuere Spielleiter neigen eher zu Railroading, da ihnen oft noch die Erfahrung und das Selbstvertrauen fehlen, um flexibel auf unerwartete Situationen zu reagieren.
  • Bestimmte Abenteuerstruktur: Manche vorgefertigten Abenteuer sind sehr linear aufgebaut und lassen wenig Raum für Abweichungen.
  • Zeitdruck: Wenn die Zeit knapp ist, z. B. auf einer Convention oder bei einem One-Shot, kann der Spielleiter eher dazu neigen, die Spieler durch die Handlung zu lotsen, um das Abenteuer in der vorgegebenen Zeit abzuschließen.

Wie erkennt man Railroading?

Es kann manchmal schwierig sein, Railroading zu erkennen, da es oft schleichend auftritt und die Grenzen zwischen einer gut strukturierten Geschichte und erzwungener Linearität fließend sind. Einige Anzeichen für Railroading können sein:

  • Die Entscheidungen der Spieler haben keine oder nur geringe Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte.
  • Der Spielleiter lehnt die Ideen und Vorschläge der Spieler ab oder ignoriert sie, wenn sie nicht in seinen Plan passen.
  • Die Spieler haben das Gefühl, keine echte Wahl zu haben und nur einem vorgegebenen Skript zu folgen.
  • Es gibt viele "unsichtbare Wände" oder erzwungene Ereignisse, die die Spieler auf dem geplanten Pfad halten.
  • Der Spielleiter greift häufig mit übermächtigen NSCs oder "Deus ex Machina"-Momenten ein, um die Spieler zu retten oder in eine bestimmte Richtung zu lenken.
  • Die Spieler fühlen sich in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt oder bevormundet.
  • Es gibt wenig Raum für eigene Ziele, Erkundungen oder Nebenhandlungen.

Auswirkungen von Railroading auf das Spiel

Railroading kann verschiedene negative Auswirkungen auf das Spiel haben:

  • Frustration bei den Spielern: Wenn die Spieler das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungen keine Rolle spielen oder dass sie gegen ihren Willen in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, kann dies zu Frustration und Demotivation führen.
  • Verlust der Spieler-Agency: Railroading untergräbt die Agency der Spieler, also ihre Fähigkeit, die Spielwelt und die Geschichte durch eigene Entscheidungen zu beeinflussen.
  • Mangelnde Immersion: Wenn die Spieler merken, dass sie nur Marionetten in einer vorgefertigten Geschichte sind, kann dies die Immersion und das Eintauchen in die Spielwelt beeinträchtigen.
  • Langeweile: Ein zu stark gelenktes Spiel kann schnell langweilig werden, da es den Spielern wenig Raum für eigene Ideen, Kreativität und Überraschungen lässt.
  • Konflikte am Spieltisch: Railroading kann zu Konflikten zwischen dem Spielleiter und den Spielern führen, wenn diese sich bevormundet oder in ihren Freiheiten eingeschränkt fühlen.
  • Abbruch der Kampagne: Im schlimmsten Fall kann exzessives Railroading dazu führen, dass die Spieler das Interesse verlieren und die Kampagne abgebrochen wird.

Vermeidung und Alternativen zu Railroading

Um Railroading zu vermeiden und den Spielern mehr Freiheiten zu geben, können Spielleiter verschiedene Techniken anwenden:

  • Gute Vorbereitung: Eine gute Vorbereitung ist wichtig, aber anstatt einen festen Handlungsverlauf zu planen, sollte der Spielleiter eher Schauplätze, NSCs und mögliche Ereignisse vorbereiten, die er flexibel einsetzen kann.
  • Offenheit für Spielerideen: Der Spielleiter sollte offen für die Ideen und Vorschläge der Spieler sein und versuchen, sie in die Geschichte einzubauen, anstatt sie abzulehnen.
  • Improvisation: Improvisation ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines guten Spielleiters. Er sollte in der Lage sein, spontan auf unerwartete Spieleraktionen zu reagieren und die Geschichte in neue Richtungen zu lenken.
  • Sandbox-Elemente: Der Spielleiter kann Sandbox-Elemente in seine Kampagne einbauen, um den Spielern mehr Freiheiten zu geben. Er kann ihnen z. B. eine Karte der Region geben und sie selbst entscheiden lassen, welche Orte sie erkunden und welche Ziele sie verfolgen möchten.
  • Verwendung von Zufallstabellen: Zufallstabellen können helfen, unerwartete Ereignisse und Wendungen in die Geschichte einzubauen und den Spielern mehr Einfluss auf den Verlauf der Handlung zu geben.
  • Spieler in die Planung einbeziehen: Der Spielleiter kann die Spieler aktiv in die Planung der Kampagne einbeziehen, z. B. indem er sie eigene Ziele und Hintergrundgeschichten entwickeln lässt oder sie über den weiteren Verlauf der Handlung mitentscheiden lässt.
  • Kommunikation: Eine offene Kommunikation zwischen Spielleiter und Spielern ist entscheidend, um Missverständnisse und Frustrationen zu vermeiden. Der Spielleiter sollte die Erwartungen und Vorlieben der Spieler kennen und sie in die Gestaltung des Spiels einbeziehen.

Umgang mit Railroading am Spieltisch

Wenn du als Spieler das Gefühl hast, dass dein Spielleiter zu starkes Railroading betreibt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen:

  • Sprich das Problem offen an: Teile deinem Spielleiter in einem ruhigen und konstruktiven Ton mit, dass du dich in deinen Entscheidungen eingeschränkt fühlst und dir mehr Freiheiten wünschst.
  • Bringe eigene Ideen ein: Versuche, aktiv eigene Vorschläge und Lösungsansätze in das Spiel einzubringen, anstatt nur passiv dem vom Spielleiter vorgegebenen Pfad zu folgen.
  • Stelle Fragen: Frage nach, warum bestimmte Dinge passieren oder warum bestimmte Optionen nicht möglich sind. Dies kann dem Spielleiter helfen, seine Entscheidungen zu überdenken und mehr auf die Spieler einzugehen.
  • Suche nach Alternativen: Wenn du das Gefühl hast, dass der Spielleiter dich in eine bestimmte Richtung drängt, versuche, alternative Wege oder Lösungen zu finden, die zu deinem Charakter und deinen Zielen passen.
  • Sprich mit den anderen Spielern: Tausche dich mit den anderen Spielern aus und versuche, gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind.
  • Gib Feedback: Gib dem Spielleiter nach der Sitzung konstruktives Feedback und schlage vor, wie er das Spiel offener und spielerfreundlicher gestalten könnte.
  • Im Zweifelsfall: Wenn das Railroading überhandnimmt und du keinen Spaß mehr am Spiel hast, solltest du überlegen, ob die Gruppe oder der Spielleiter zu dir passt. Es ist in Ordnung, eine Spielrunde zu verlassen, wenn sie nicht deinen Vorstellungen entspricht.

Beispiele für Railroading

Hier sind einige konkrete Beispiele für Railroading in einer Spielsitzung:

  • Die Spieler wollen einen anderen Weg einschlagen als den vom Spielleiter vorgesehenen, aber er setzt immer neue Hindernisse oder NSCs ein, um sie zurück auf den geplanten Pfad zu zwingen.
  • Die Spieler versuchen, einen Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen, aber der Spielleiter lässt alle ihre Versuche scheitern, weil er unbedingt einen Kampf provozieren will.
  • Die Spieler entwickeln einen cleveren Plan, um ein Problem zu lösen, aber der Spielleiter lehnt ihn ab, weil er nicht seiner vorgefertigten Lösung entspricht.
  • Die Spieler treffen eine wichtige Entscheidung, aber der Spielleiter ignoriert sie einfach und setzt die Geschichte so fort, als ob die Entscheidung nie getroffen wurde.
  • Ein übermächtiger NSC taucht auf und nimmt den Spielern die Entscheidung ab oder rettet sie aus einer schwierigen Situation, ohne dass sie selbst etwas tun können.
  • Der Spielleiter beschreibt ausführlich eine Szene oder ein Ereignis, ohne dass die Spieler die Möglichkeit haben, einzugreifen oder ihre Charaktere zu steuern.

Der eingeschränkte Railroad

Nicht jedes lineare Abenteuer oder jede vorgegebene Handlung ist gleich Railroading. Es gibt Situationen, in denen ein gewisses Maß an Lenkung und Führung durch den Spielleiter notwendig und sinnvoll sein kann:

  • Einführung in ein neues System: Wenn die Spieler neu in einem System sind, kann es hilfreich sein, sie zunächst an die Hand zu nehmen und durch ein lineareres Abenteuer zu führen, um ihnen die Regeln und die Spielwelt näherzubringen.
  • Zeitliche Begrenzung: Wenn die Zeit begrenzt ist, z. B. bei einem One-Shot oder auf einer Convention, kann es nötig sein, die Handlung zu straffen und die Spieler schneller voranzubringen.
  • Dramaturgische Gründe: Manchmal kann es im Sinne der Geschichte notwendig sein, dass die Spieler an einem bestimmten Punkt an einem bestimmten Ort sind oder eine bestimmte Handlung ausführen. In solchen Fällen kann ein gewisses Maß an Lenkung gerechtfertigt sein, solange es gut begründet und nicht willkürlich ist.
  • Spielerpräferenzen: Nicht alle Spieler mögen Sandbox-Spiele. Manche bevorzugen eine klar vorgegebene Handlung und schätzen es, wenn der Spielleiter die Geschichte in eine bestimmte Richtung lenkt.

Wichtig ist, dass der Spielleiter transparent und kommunikativ ist und die Spieler in seine Überlegungen einbezieht. Wenn die Spieler verstehen, warum eine bestimmte Szene oder ein bestimmtes Ereignis wichtig für die Geschichte ist, sind sie eher bereit, sich darauf einzulassen.

Fazit

Railroading ist ein viel diskutiertes Thema in der Pen-and-Paper-Rollenspielszene. Es beschreibt eine Spielweise, bei der der Spielleiter die Handlung und die Entscheidungen der Spieler stark vorgibt und ihnen wenig Raum für eigene Ideen und Freiheiten lässt. Während ein gewisses Maß an Lenkung und Struktur in manchen Situationen sinnvoll sein kann, kann zu starkes Railroading die Spieler frustrieren, die Immersion zerstören und den Spielspaß beeinträchtigen. Ein guter Spielleiter sollte daher versuchen, ein Gleichgewicht zu finden zwischen einer gut vorbereiteten Geschichte und der Freiheit der Spieler, eigene Entscheidungen zu treffen und die Welt aktiv mitzugestalten. Kommunikation, Flexibilität und gegenseitiges Vertrauen sind der Schlüssel, um ein Spielerlebnis zu schaffen, das sowohl fesselnd als auch befriedigend für alle Beteiligten ist.